Dienstag, 1. August 2023

Bundesfeier Maur: Rede von Stefanie Huber

«Wo sich die Natur wohlfühlt, da geht es auch dem Menschen gut.» Denken Sie an einen Spaziergang entlang dem Greifensee oder durch ein Tobel entlang der Pfannenstiel-Kette. Oder – wie ich es gestern morgen noch erlebt habe in Bergün – durch duftende Wiesen, umtanzt von Schmetterlingen. Danach versetzen Sie sich in eine Häuserschlucht, z.B. nach Chicago, oder an einen endlosen Strand.

Wir alle verbringen gerne Ferien oder Auslandaufenthalte irgendwo, wo es komplett anders ist als hier, aber es zieht uns wieder hierher zurück. So erging es auch mir während eines Sommers am Mittelmeer. Das Meer in seiner Endlosigkeit und Monotonie hat seinen Reiz, aber vor meinem inneren Auge tauchte als Sinnbild für mein Heimweh der Blick zwischen Fällanden und Maur über den Greifensee auf, wie ich es schon hundert Mal vom Velo aus in allen Jahreszeiten gesehen habe, bei Sonne oder Regen, so wie heute.

«Where nature feels at home, people do well too.» (Das als Referenz für die Expats hier in der Gemeinde.) Wo sich die Natur wohlfühlt, da geht es auch dem Menschen gut – Das hat auch mit den Strukturen in den Gärten und in der Landschaft zu tun, mit wenig Versiegelung und einer intakten Natur, wo wir Pflanzen riechen und Tiere hören. Maur ist hier sicher ein Beispiel, wo noch viel davon vorhanden ist.

Was einfach und logisch tönt, ging in den letzten Jahrhunderten beim Menschen zunehmend vergessen. Wir versiegeln und verbauen Freiflächen, wir pflegen Häuserschluchten und legen Steingärten an. Die Aussenräume unserer Häuser sind oft so blank wie leergeräumte Wohnungen.

Der Einstiegssatz, «Là où la nature se sent chez elle, les gens se portent bien aussi», (um jetzt auf die verschiedenen Landessprachen zurückzukommen) ist mein Versuch, eine Schweizer Studie in einem Satz zu fassen. «BiodiverCity», Biodiversität im Siedlungsraum, zeigte bereits vor mehr als zehn Jahren auf, dass wir nicht nur der Natur etwas Gutes tun, wenn wir Artenvielfalt fördern, sondern auch uns selbst. Wir Menschen sprechen darauf an, wenn es auf einer Wiese «summt und brummt», wenn sich unser Auge an lebendigen Strukturen «satt sehen kann». Die Studie hat aber ebenfalls gezeigt, dass die Menschen diese Natur auch zum Spielen und Verweilen nutzen wollen – Absperrung also nur dort, wo zwingend nötig.

Denken Sie jetzt an Siedlungen, wie sie auch in Maur und v.a. den umliegenden Gemeinden zu finden sind. Leerer Rasen, ein paar spärliche, unbelebte Büsche, traurig wirkende Spielgeräte für die Kinder, verloren in viel Grau. In den spärlich bepflanzten Siedlungen bleiben oft auch die Insektenhotels leer. Gehen Sie nun in Gedanken durch ein anderes Quartier, kleinräumig, mit verschlungenen Pfaden, wo Hecken und Bäume lauschige Plätzchen schaffen und zum Verweilen einladen, wo die Kinder ganzjährig Verstecken spielen können, wo Vogelgezwitscher und Grillengezirpe um Ihre Aufmerksamkeit buhlen.

Ein Beispiel bietet sich auch bei unseren heutigen Gastgebern, der Familie Berger. Auf ihrer Homepage steht ein Satz, der mir geblieben ist: «Es liegt im Interesse der Familie, eine naturnahe und bodenschonende Landwirtschaft zu betreiben.» Eine Kollegin meinte einmal sinngemäss: «Nimm ein Stück Ackerboden in die Hand, einmal von einem konventionell betriebenen Bauernhof, einmal naturnaher bewirtschaftet – Du wirst den Unterschied sehen und spüren.»

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«Scha la natüra as sainta bain, eir l’uomen sta bain.» Was hat das, neben meiner Anekdote zu meiner Heimatgefühl-Erkenntnis, mit dem 1. August zu tun? An diesem Festtag suchen wir das Gemeinsame, was uns unter dieser Schweizerflagge verbindet. Ich bin Umweltnaturwissenschaftlerin und setze mich beruflich und politisch für die verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit ein. Darum spreche ich heute über der Erhalt unserer Lebensqualität mit ihren vielen Facetten, nicht zuletzt aber über den Erhalt von Grün- und Erholungsräumen. Biodiversität fördert die Aufenthaltsqualität, auf dem Balkon, im Schrebergarten genauso wie in der Gemeinde. Ich habe das Thema gewählt, weil es uns nicht nur verbindet, sondern hier auch viel Potenzial brach liegt. Selbst in Maur mit seinen vielen Grün- und Landwirtschaftsflächen.

«Dove la natura si sente a casa, anche le persone stanno bene.» Maur hat das erkannt und mit Freude habe ich in den letzten Wochen zahlreiche Beispiele zusammengetragen. Da ich mich beruflich und politisch viel mit den Handlungsmöglichkeiten der Gemeinden im Nachhaltigkeitsbereich auseinandersetze, war es für mich naheliegend, mir die Aktivitäten der Gemeinde Maur näher anzusehen.

Der Gemeinderat in seinem Legislaturprogramm sagt selbst: «Wir bewahren unseren wertvollen Lebensraum, fördern die Biodiversität sowie den Natur- und Landschaftsschutz.». Übrigens: Dieses Legislaturprogramm ist auf der Homepage aufgeschaltet und Sie können selbst (auch anonoym) Vorschläge einschicken, so quasi als «Mitmachgemeinde». Der Gemeinderat nimmt dann dazu Stellung.Die Annahme der Einzelinitiative «Schutz der Artenvielfalt – Rettet die Bienen» bietet einen ausgedehnteren Rahmen für entsprechende Massnahmen. Maur setzt sich bspw. ein, wenn es um Neophytenbekämpfung oder vorbildliche Aussenräume bei den kommunalen Gebäuden geht, sowie für die Unterstützung von Vernetzungs- oder Aufwertungsprojekten.Die Ortsplanungsrevision soll das Grün im Siedlungsraum und eine haushälterische Bodennutzung fördern.

Zu unserer Lebensqualität hier in der Schweiz gehören auch die kurzen Wege und die Freude, mit der man sich draussen zu Fuss oder mit dem Velo bewegt. Darum ist es zu begrüssen, wenn Maur in die öffentlichen Räume und den öffentlichen Verkehr investiert: Das bietet dem Gewerbe gute Rahmenbedingungen, fördert die Gesundheit und unterstützt nachhaltige Mobilität. Nur wenn Velo- und Fusswege sicher sind, nutzt man sie auch. Wer attraktive Plätze und Spielräume in der Nähe hat, muss nicht für jede Freizeitstunde in die Ferne schweifen.Gerne würde ich diese Aussagen auch in den Kontext eines weiteren Satzes aus dem

Legislaturprogramm stellen - «MAUR ist innovattiv und konsequent nachhaltig.» Was wir heute planen und bauen, hat Auswirkungen auf die nächsten Generationen. Die Schweiz verdankt ihren heutigen Reichtum in Bezug auf Infrastruktur, Bildung, Forschung und Innovation früheren Vordenkern und Ideengeberinnen. Machen auch wir es so und investieren wir heute für die Lebensqualität auch der künftigen Generationen. Schliesslich haben wir «die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen», wie ein indianisches Sprichwort sagt.

Die Anpassung an den Klimawandel ist da ein gutes Beispiel. Baumpflanzungen, Entsiegelungen sowie die Sichtbarkeit von Wasser im Siedlungsraum werden sich für unsere Kinder und uns selbst als alte Leute bezahlt machen. Denn: Beschattung und Wasserflächen reduzieren die Temperaturen für alle Lebewesen entscheidend, denken Sie da an ältere Personen auf einem Bänkchen oder an temperaturempfindliche Fischsorten in einem Bach.

Letzteres habe ich an einem Referat des VSG hier in Maur geht. Entsiegelung hilft uns, die immer stärker werdenden Niederschläge aufzufangen und abzuführen, damit beugen wir Überschwemmungen vor. So sichern wir die Lebensqualität und den Schweizerischen Wohlstand in 20 Jahren.

Zu unserer Lebensqualität gehören auch Stabilität und Freiheit. Freiheit kann man auch so deuten, dass man Entscheide eigenverantwortlich fällen kann, ohne komplett von äusseren Entwicklungen und Ressourcen bestimmt zu sein. Bei der Energie und den fossilen oder nuklearen Ressourcen ist das aber heute leider der Fall. Investitionen in Effizienz, erneuerbare Energien und Klimaschutz helfen uns deshalb, vom Ausland und Preisschwankungen unabhängiger zu werden.

Dazu passt das kommunale Legislaturziel «Wir fördern die Nutzung erneuerbarer Energien und beachten bei Bauvorhaben der Gemeinde die Effizienz.» Im Umsetzungskonzept zum Maurmer Energieleitbild finden sich konkrete Massnahmen: Der Gemeinderat legt die Grundlagen für ein Wärmeverbundsprojekt mit erneuerbaren Energien, er prüft Photovoltaik-Anlagen für die kommunalen Gebäude und überlegt sich, welche Rolle die Gemeinde bei der Elektromobilität spielen soll.

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Die einen sprechen am 1. August von Werten und Bräuchen, die anderen halten Unabhängigkeit und Liberalität hoch, wieder andere betonen die Schönheit unseres Landes.

Alle diese Eigenschaften bedingen einander und hängen zusammen. Wir alle wollen unsere Lebensqualität erhalten, sei es in Bezug auf die Schönheit unseres Landes, aber auch im Sinne der Stabilität und Entscheidungsfreiheit. Dabei kommt uns die «Schweiz als Willensnation» sicher zugute.

Mit der Verbesserung der Lebensqualität können wir ausserdem hier und jetzt beginnen, wir brauchen dafür nicht auf den Bundesstaat oder die Damen und Herren in Zürich zu warten, es liegt in unseren eigenen Händen – in der Eigenverantwortung des Einzelnen und auf der kleinsten politischen Ebene, der Gemeinde. Lokal können wir miteinander im persönlichen Austausch Kompromisse schmieden, die direkt sicht- und spürbar werden, wir können loslegen, als Einzelne, als Verein, als Kirch- oder als politsche Gemeinde.

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Eine 1. August-Rede ist eine grosse Ehre und ich bedanke mich deshalb nicht nur bei Ihnen

für die Aufmerksamkeit, sondern auch für die Einladung des Gemeinderats. Die «Carte blanche», die ich bezüglich des Inhalts dieser Rede bekommen habe, reiche ich Ihnen nun weiter. Die «Carte blanche» wird verstanden als Handlungsvollmacht, die haben Sie, wenn es um die Artenvielfalt auf unseren Balkonen und die Lebensqualität vor unserer Haustür geht. Das einfachste wäre dabei, «weniger» zu machen und der Natur einfach mehr Raum zu lassen.

«Wo sich die Natur wohlfühlt, da geht es auch dem Menschen gut.» In diesem Sinne wünsche ich uns allen weiterhin einen frohen 1. August, trotz des Regens, und ich freue mich noch auf das eine oder andere Gespräch im Nachgang.

Vielen Dank!